|
Die Geschichte der Sammlung mathematischer Modelle am Institut für Diskrete Mathematik und Geometrie
Die Vorgeschichte
Seit Anbeginn der Mathematik als wissenschaftliche Disziplin in der griechischen Antike wurden Visualisierungsmethoden von Mathematikern erdacht und Bilder von mathematischen Sachverhalten für Forschungs- und Lehrzwecke erstellt und gewinnbringend eingesetzt. Neben Konstruktionszeichnungen oder Diagrammen als Bildmedien in der "ikonophilen" klassischen Geometrie, wie sie zum Beispiel in Euklids Elementen zu finden sind, wurden bereits in der Antike plastische Modelle wie beispielsweise diejenigen der Platonischen Körper angefertigt (Funde aus dem 1. Jahrhundert nach Christi belegen dies), die zuerst in Platons Timaios Dialog für die Konstruktion seines kosmologischen Modells und in seinem Philebos Dialog als ästhetische Gebilde höchster Symmetrie und Harmonie beschrieben werden.
Der Bilderboom
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfuhren mathematische Demonstrationsmodelle als Bildmedien der Mathematik eine einzigartige Blütezeit. Es handelte sich um eine Hochphase des Modellbaus und der inflationären Verwendung der Modelle, die der Anschauung oder deren Herausbildung dienten und die zumeist im Kontext der Geometrie, gegen Ende des Jahrhunderts auch im Bereich der Funktionentheorie und anderer Zweige der Mathematik, hergestellt wurden. Die 1870er Jahre gelten als Beginn dieser Hochphase, welche in der Zeit des 1. Weltkrieges bereits wieder ihr Ende fand. [1]
Die Tradition des Modellbaus neuer Zeit begann im postrevolutionären Frankreich, kurz nach der Wende vom 18. in das 19. Jahrhundert, eingeleitet durch Veränderungen des französischen Bildungsideals, in dessen Zusammenhang neue Hochschulen wie die École Polytechnique und die École Normale in Paris geschaffen wurden. Die Anschauungsobjekte der höheren Geometrie treten um die Jahrhundertwende im Umfeld des Mathematikers Gaspard Monge (1746-1818) an der Pariser École Polytechnique als wissenschaftliche Artefakte auf die Bühne, um dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Boom in der Bildkultur der Mathematik zu erleben, der sich auch in der Serienproduktion und Gründung von Modellsammlungen äußert. Der Mathematiker Gaspard Monge, der unter anderem als Autor von Lehrbüchern der Analytischen und Darstellenden Geometrie in Erscheinung getreten ist, hatte an der École Normale sein Programm der "Géométrie descriptive" vorgestellt und zugleich im Rahmen eines neuen Bildungsprogramms das technische Zeichnen als Unterrichtsfach auch in natur- und ingenieurswissenschaftlichen Fächern etabliert. Diese Art des technisch-konstruktiven Zeichnens ist nach Wolfgang Kemp im Unterschied zum Freihandzeichnen ein vom Objekt aus gedachtes, der Abstraktion und damit der Verallgemeinerung augewandtes Verfahren und nimmt somit die Modellierung geradezu vorweg. An der von Monge mitbegründeten Pariser École Polytechnique, einer militärischen Ingenieursschmiede, fand in seinem Umfeld der systematische Übergang von der Zeichnung zum plastischen Modell statt und er kann somit als Protagonist des Modellbaus gelten. Der Artikel "Mathematical Drawing and Modeling" der Encyclopaedia Britannica aus dem Jahre 1888 bestätigt dies, denn darin wird Monge im Zusammenhang mit der Herstellung der ältesten Modelle der höheren Geometrie genannt, die um 1800 unter seiner Leitung entstanden sein sollen: "As regards tridimensional figuring, the oldest know models for instruction in higher geometry are the thread models of skew surfaces constructed about the year 1800 under the direction of G. Monge for the Ecole Polytechnique in Paris." [2]
Hierbei handelte es sich zunächst wohl um Fadenmodelle von Drehflächen und sein Schüler Théodore Olivier (1793-1853), der wie andere Eleven den Modellbau forcierte, entwickelte frühe bewegliche Modelle. Bereits in den Jahren davor wurden vereinzelt visuelle Modelle hergestellt, diese dienten aber dem Privatgebrauch von Wissenschaftlern und deren Forschungszwecken und waren selten einem breiten Publikum zugänglich. Die Modelle wurden in Materialien der Zeit wie Pappe, Gips, Ton, Draht, Fäden, Holz, Glas, Kristall, Zink etc. in Handarbeit gefertigt. Dies geschah unter didaktischen Gesichtspunkten auch durch Studenten, um deren Verständnis der geometrischen Sachverhalte beim Selbstbau der Gebilde zu verbessern. Vor allem über die technischen Hochschulen in Darmstadt, Karlsruhe und Zürich fand der Einsatz von Modellen im deutschsprachigen Raum Verbreitung und deren Rolle in der Hochschullehre vor allem in der Geometrie begann ab den 1860er-Jahren an Bedeutung zu gewinnen. Die starke Entwicklung der Geometrie innerhalb des Gebäudes der Mathematik im 19. Jahrhundert trug ebenso ihren Teil zum Aufschwung bei.
Der Modellbau wurde schnell kommerzialisiert und Verlagsbuchhandlungen wie Delagrave in Paris, Brill in Darmstadt oder auch Schilling und Teubner in Leipzig übernahmen die Herstellung der geometrischen Gebilde und vertrieben ganze Serien derselben im doppelten Sinne. [3]
Die Sammlung des Institutes für Diskrete Mathematik und Geometrie an der TU Wien
Die Geschichte der Sammlung mathematischer Modelle beginnt spätestens im Jahre 1868 am ehemals k.k. polytechnischen Institut, dokumentiert durch eine Eintragung in einem erhaltenen Bestandsverzeichnis der ordentlichen Lehrkanzel für Darstellende Geometrie. In diesem Jahr – 43 Jahre nach Gründung der heuten Technischen Universität Wien am 6. November 1815 als k. k. polytechnische Institut, das am 10. April 1872 in eine Technische Hochschule umgewandelt wurde – wurden "12 Stück Modelle" bei der Firma Schröder in Darmstadt erworben, wie es die Inventarnummern 48 bis 59 im Nachtrags-Inventarium für die Lehrmittelsammlung der Darstellenden Geometrie am K.K. polytechnischen Institute von 1867 an bis 1905 verraten.[4]
Von diesem Zeitpunkt an wurden Modelle und Lehrmittel der Darstellenden Geometrie, der technischen Mechanik und diverse Zeichen- und Konstruktionsgeräte bei den einschlägigen und renommierten Einzelhändlern erworben, darunter Ludwig Brill als Verlagshandlung in Darmstadt, Ludwig Burmester in Dresden, Eigel & Lesemeister in Köln, Martin Schilling als Verlagshandlung in Halle an der Saale, später dann in Leipzig, L.W. Seidel & Sohn in Wien und schließlich B.G. Teubner als Verlagshandlung in Leizpig, um nur einige zu nennen. Erste nachweisbare Ankäufe fanden Bei L. Brill in Darmstadt bereits 1879 (Inventarnummern 48 bis 59), bei Martin Schilling in Halle an der Saale 1899 (Inventarnummern 2168, bis 2170), bei Prof. Burmester in Dresden 1882 (Inventarnummer 538) und bei Schröder in Darmstadt im Jahre 1868 statt. Interessanterweise wurde im Jahre 1886 ein 1855 entwickelter Pantograph erworben, "angekauft beim Mechaniker Siegfried Marcus" in der Mariahilferstrasse 107, der als "Tüftler" vor allem durch die Entwicklung des Automobils bekannt wurde. Immer wieder wurde der Bestand der Sammlung durch Schenkungen von Professoren und Institutionen erweitert. Ein Kuriosum: Häufig waren auch Studenten unter den Gönnern, so war das Fadenmodell einer Fläche 4. Ordnung (Inventarnummer 2107) ein "Geschenk des Hörers der Darstellenden Geometrie Armin Weiner" im Jahre 1898.
Nachdem sich das Jahr 1901 durch besonders viele Ankäufe ausgezeichnet hatte, nahm der Umfang der Sammlung auch weiterhin stetig zu und so wird in der Gedenkschrift zum 100. Jubiläum der K.K. Technischen Hochschule Wien aus dem Jahre 1915 nicht ohne Stolz verkündet, dass bereits 68 (mathematische) Modelle im Bestand der zweiten Lehrkanzel für darstellende Geometrie von Professor Theodor Schmid zu finden sind, wobei die Gedenkschrift selbst über das Rektorat der Technischen Hochschule Wien in den Besitz der Lehrkanzel I kam (Inv. Nr. 2931).
Status Quo
Die Modelle der umfangreichen und historischen Sammlung schlummerten in den Vitrinen und Schränken. Im Jahre 2008 wurde nun unter der Leitung von Herrn Professor Hellmuth Stachel und Herrn Michael Rottmann mit der Inventarisierung und der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Sammlung am heutigen Institut für diskrete Mathematik und Geometrie begonnen.
|